Questione Ladina
Questione Ladina nennt man die Frage, ob zwischen dem in Graubünden gesprochenen Romanisch, dem in den Tälern um die italienischen Dolomiten gesprochenen Ladinisch und dem im italienischen Friaul gesprochenen Furlan eine enge Sprachverwandtschaft besteht, und ob es deshalb gerechtfertigt ist, diese drei Sprachen unter einem Oberbegriff, Rätoromanisch oder Alpenromanisch, zusammenzufassen.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts und bis heute ist diese Frage unter zwei Gruppen von Sprachwissenschaftlern umstritten. Brisanz außerhalb des kleinen Kreises von Gelehrten bekam das Problem durch die Schlüsse, die die Politik daraus zog.
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Ansicht der Ascolianer
Die erste Gruppe fußt auf einer 1873 publizierten Arbeit des Sprachforschers Graziadio Isaia Ascoli (1829-1907). Die darin vertretene Ansicht wurde in den folgenden Jahren maßgeblich von Theodor Gartner (1843-1925) ausgebaut.
Beide Forscher postulieren, es existierten so viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Romanischen, dem Ladinischen und dem Furlanischen , dass man von einer Art rätoromanischer " Ursprache " im Gebiet zwischen Oberalppass in der Schweiz und dem Friaul in Italien auszugehen habe.
Diese Einheit hätte sich in der Folge durch die geographischen Gegebenheiten stark in Dialekte zergliedert; durch die Ausbreitung des Deutschen nach Süden und des Italienischen nach Norden sei die ursprüngliche Einheit zerrissen worden.
Ansicht der Battistianer
Die zweite Gruppe - ausgehend von Carlo Battisti (1882-1977) und Carlo Salvioni (1858-1920) - dagegen versteht unter dem Rätoromanischen lediglich das in Graubünden gesprochene Romanisch mit seinen fünf Idiomen. Eine weiter gehende Einheit mit dem Dolomitenladinischen und dem Friulanischen sei ein bloßes sprachwissenschaftliches Konstrukt ohne Realitätsbezug.
Die dem Romanischen mit dem Ladinischen und dem Friaulischen gemeinsamen Züge finden sich in verschieden starkem Umfang in vielen italienischen Dialekten am Alpensüdhang von der Lombardei bis zum Veneto . Ein Teil dieser Eigenheiten war früher sogar in der Poebene verbreitet. Damit werden die angeblichen Gemeinsamkeiten des "Rätoromanischen" als typische sprachliche Rückzugsgebiete eines früher anders gearteten norditalienischen Dialektes erkannt.
Politische Auswirkungen
Der Streit zwischen Ascolianern und Battistianern wurde zunächst rein wissenschaftlich geführt. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings wurden die Positionen Battistis auch von Vertretern des italienischen Irredentismus übernommen. Diese sahen in Battistis Ansichten eine Stütze für ihre Theorie, wonach Bündnerromanen, Dolomitenladiner und Friulaner eigentlich italienisch sprächen und demzufolge Italiener seien, die in einem italienischen Staat vereinigt werden müssten. Damit hätte auch der Schweizer Kanton Tessin und der größte Teil Graubündens an Italien angeschlossen werden müssen.
Das Grundproblem besteht aus heutiger Sicht darin, dass die Politik nicht Erkenntnisse der historischen Sprachwissenschaft für die Bewertung aktueller Probleme heranziehen darf: Gleichgültig, ob Romanisch, Ladinisch und Furlanisch historisch gesehen eigentlich "oberitalienische" Dialekte darstellen oder nicht - heutzutage besteht jedenfalls bei den Sprechern dieser Dialekte kein solches Bewusstsein.
Neuere Diskussion
In jüngster Zeit hat es einige Versuche gegeben, die Diskussion auszuweiten, so haben einige Nonstaler behauptet, auch eine räterromanische / Ladinische Variante zu sprechen, dies hängt damit zusammen, dass die Ladiner im Trentino-Südtirol eine besondere Autonomie besitzen.
Kategorie : Rätoromanische Sprache
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